Das große Blutbild

Ein Mysterium, welches es seit vielen Jahren, vielleicht Jahrzehnten gibt… Dazu einige oft in meiner Praxis gehörte Aussagen:

  • Ein großes Blutbild ist die umfassende Bestimmung aller möglichen Blutwerte zu allen möglichen Krankheiten und Organen.
  • Die Krankenkasse zahlt jährlich ein großes Blutbild.
  • Am großen Blutbild kann man alle Krankheiten erkennen.
  • Sind die Blutwerte normal, bin ich gesund.

Keine der Aussagen ist auch nur annähernd richtig!

 

Begriff:

Das „große Blutbild“ ist ein Laienbegriff, der wohl im Prinzip aussagen soll, dass eine möglichst umfassende Blutuntersuchung gemacht wird

Das „große Blutbild“ ist im Gegensatz dazu medizinisch aber genau definiert: Es umfasst nur sehr wenige Parameter, nämlich die roten Blutkörperchen (Erythrozyten, Hämoglobin, Hämatokrit, MCV, MCH, MCHC), weißen Blutkörperchen (Leukozyten und deren Untergruppen) und Blutplättchen (Thrombozyten). Das war es auch schon!

Was kann man damit erkennen? Außer einer Blutarmut oder einer Infektion fast nichts!

Alle anderen möglichen Blutuntersuchungen gehören medizinisch betrachtet nicht zum großen Blutbild, sondern zur klinischen Chemie, zur Gerinnungsanalyse oder zu anderen Untersuchungen.

 

Leistungen der Krankenkasse

Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass die Krankenkasse jährlich eine umfassende Blutuntersuchung bezahlt. Die Krankenkasse zahlt grundsätzlich überhaupt keine Blutuntersuchungen bei gesunden Menschen, ausgenommen ist die alle drei Jahre mögliche Gesundheitsuntersuchung, die aber kein großes Blutbild, sondern lediglich Glukose (Zucker) und Blutfette beinhaltet.

Ansonsten zahlt die Krankenkasse lediglich die Abklärung von Beschwerden, was aber keineswegs ein großes Blutbild beinhalten muss.

 

Krankheiten und Blutwerte

Auch hier liegt ein weit verbreiteter Irrtum vor, denn ein Großteil aller Erkrankungen lässt sich an Blutwerten überhaupt nicht erkennen. Selbst bei ernsten Erkrankungen, wie z. B. Krebs, bleiben die Blutwerte oft normal. Zur Früherkennung von Krankheiten ist daher eine Blutuntersuchung meist völlig ungeeignet.

 

„Normale“ Blutwerte bedeuten, dass man gesund ist.

Mitnichten! Es gibt sicher mehr Erkrankungen mit normalen Blutwerten als solche, die man am Blut erkennen kann. Gerade viele der heutzutage häufigen Erkrankungen lassen sich am Blut überhaupt nicht erkennen, z. B. fast alle Herzerkrankungen, hoher Blutdruck, Krebs, Durchblutungsstörungen, Magenerkrankungen und viele andere.

Und noch weiter: so wie es kranke Menschen mit völlig normalen Blutwerten gibt, gibt es auch gesunde Menschen mit veränderten Blutwerten.

 

Was sind denn „normale“ Blutwerte?

Nun, medizinisch gibt es die nicht. Denn: Woher sollen wir wissen, welche Blutwerte normal sind, und woher sollen wir wissen, welche Blutwerte individuell für einen einzelnen Menschen normal sind?

Schlicht und einfach: Wir wissen es nicht!

Wie kommt man dann zu den Normalwerten? Dazu greift man zu Mitteln der Statistik. Man bestimmt von 10000 oder mehr offensichtlich gesunden Menschen die Blutwerte und definiert dann einfach mal, dass die mittleren 95% „normal“ sind.

Merken sie? Schon allein aufgrund dieser Definition werden also bei 5% der Menschen die Werte als unnormal definiert, ohne zu wissen, ob diese Menschen krank sind. Was ist denn, wenn diese Menschen gar nicht krank sind, sondern einfach für sich andere „Normalwerte“ haben?

Genau aus diesem Grunde sollte man auch nicht von Normalwerten, sondern besser von Referenzwerten sprechen. In diesem Referenz-Wertebereich liegen dann die Blutwerte von 95% der (scheinbar) gesunden Menschen, aber umgekehrt liegen 5% der Menschen mit ihren Werten außerhalb dieses Bereichs, ohne deswegen krank sein zu müssen. Besonders häufig sieht man das übrigens bei der Leber, der Schilddrüse und der Blutsenkung. Umgekehrt ist es oft bei der Niere, obwohl diese schon krank ist, bleibt der am häufigsten bestimmte Nierenwert lange noch normal.

 

Krankheiten und Blutwerte

Damit ergibt sich auch, dass man viele Krankheiten am Blut überhaupt nicht erkennen kann. Genau genommen kann man sogar nur sehr wenige Erkrankungen am Blut sicher erkennen. Meist ist es eher so, dass Blutwerte gewisse Hinweise für Erkrankungen liefern, aber keineswegs beweisend sind für eine Erkrankung.

Warum ist das so? Dafür gibt es viele Gründe, aber der wichtigste Grund ist, dass Krankheiten meist im Gewebe stattfinden, aber nicht im Blut. Mit anderen Worten: Eine Erkrankung lässt sich erst dann im Blut nachweisen, wenn sich die Veränderungen im Gewebe irgendwann auch auf das Blut übertragen. Bei manchen Erkrankungen geht das schnell, bei anderen dauert das lange oder passiert nie. Damit bedeutet das:

  • Krankheiten kann man am Blut meist weder beweisen noch ausschließen
  • Normale Blutwerte schließen eine Erkrankung keineswegs aus!

Genau das ist auch einer der Gründe, warum Krankenkassen ein jährliches Blutbild (egal, wie man das definiert) eben nicht bezahlen. Weil es eben nichts aussagt!