Beipackzettel

Lesen Sie sie? Vor allem das Kapitel über Nebenwirkungen? Oh weh!

Lesen Sie sie nicht? Gut so!

 

Was sind eigentlich Beipackzettel?

Es sind diese auf eine faszinierende Art gefaltete Beilagen zu einem Medikament, die Sie, nachdem Sie sie einmal entfaltet haben, garantiert nicht wieder so gefaltet bekommen, wie sie vorher waren. Glauben Sie mir, ich habe es oft versucht, aber nie hinbekommen! Sind sie besser als ich?

Beipackzettel müssen nach deutschem Recht jedem Medikament beiliegen. Damit sollen Sie, als mündiger Bürger, über Sinn und Unsinn des Medikamentes informiert werden.

Mit „Sinn“ meine ich die Anwendungsgebiete des Wirkstoffs, also, bei welchen Erkrankungen oder Beschwerden der Wirkstoff sinnvoll ist, wie man ihn einnehmen sollte und in welcher Dosierung.

Mit „Unsinn“ meine ich die Nebenwirkungen, Risiken und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, und welche Kontrollen, z. B. der Blutwerte, angeblich notwendig sein sollen.

 

Warum gibt es solche Beipackzettel?

Der Ursprung war vermutlich der Contergan-Skandal vor vielen Jahrzehnten. Sie erinnern sich? Frauen in der Schwangerschaft bekamen ein Schlafmittel verschrieben, welches dann in vielen Fällen zu Missbildungen der Neugeborenen geführt hatte, mit dramatischen Folgen für die Betroffenen.

Da damals die herstellende Firma zu vielen Millionen Schadenersatz verurteilt wurde, versuchen die Pharmafirmen seitdem, durch möglichst ausführliche Informationen über mögliche Nebenwirkungen davor zu warnen und wollen sich damit in der Zukunft vor Regressansprüchen mit der Begründung schützen, man habe ja im Beipackzettel darauf hingewiesen, womit jeder Patient vorher gewarnt worden sei.

Das führt aber leider in vielen Fällen dazu, dass dort Nebenwirkungen angegeben werden, für die sich bis heute kein Zusammenhang mit der Einnahme des Wirkstoffs nachweisen lässt. Mit anderen Worten: Bekommt ein Proband während der Testeinnahme irgendeine Erkrankung, so wird diese auch dann im Beipackzettel aufgeführt, wenn er die Erkrankung nur zufällig zeitgleich mit dem Medikament bekommen hat, und diese auch aufgetreten wäre, wenn er das Medikament nicht eingenommen hätte. Denn im Einzelfall lässt sich ja nicht beweisen, ob es sich um eine Nebenwirkung handelt oder nicht. Da die Firmen aber (siehe oben) sehr vorsichtig geworden sind, wird dies dann unter mögliche Nebenwirkungen aufgeführt.

 

Die Auswirkungen

Leider führt das aber dazu, dass viele Patienten aufgrund des Beipackzettels sehr verunsichert werden und selbst Nebenwirkungen, die nur einmal bei 100.000 Patienten auftreten, auf sich beziehen. An sich ist das ja verständlich, aber vergessen wird dabei immer, dass ja die Nichteinnahme des Medikaments bezogen auf die Erkrankung, für die es verordnet wurde, auch „Nebenwirkungen“ haben kann. Genau genommen müsste also der Beipackzettel ergänzt werden und einen Abschnitt mit dem Thema enthalten: „Was passiert, wenn Sie das Medikament trotz ärztlichem Rat nicht einnehmen?“ Hier müssten dann oftmals genau die gleichen Nebenwirkungen genannt werden, wie oben.

Ein Beispiel: Die Nichteinnahme eines Medikaments gegen hohen Blutdruck kann auf Dauer zu Herzinfarkt oder Schlaganfall führen. Das steht aber im Beipackzettel nicht drin.

Für einen medizinisches Laien ist das verwirrend, denn er kennt die Krankheiten, deren Entstehungsmechanismus und auch die Wirkungsweise der Medikamente im Organismus nicht. Verunsicherung ist die Folge, leider oft mit dem Ergebnis, dass das Medikament dann nicht eingenommen wird. Besonders fatal ist es dann, wenn der Patient sich aber nicht traut, mit dem Arzt darüber zu sprechen, sondern einfach weiter seine Rezepte abholt, das Medikament dann aber in der Mülltonne entsorgt.

Sie meinen, das gibt es nicht? Doch, leider ist das viel häufiger als Sie denken.

 

Studie zu Nebenwirkungen

Interessant ist übrigens, dass es eine gute Studie gibt, die einmal die Nebenwirkungen von Medikamenten untersucht hat. Dabei hat man zwei große Gruppen von Patienten beobachtet, von denen die eine Hälfte den Beipackzettel nicht gelesen hat, die andere Hälfte aber schon. Das Ergebnis: In der Gruppe, die den Beipackzettel gelesen hatte, traten Nebenwirkungen der Medikamente deutlich häufiger auf als in der Gruppe, die den Beipackzettel nicht gelesen hatte.

Was lernen wir daraus? Menschen, die den Beipackzettel lesen, hören entweder besonders deutlich in ihren Körper hinein und/oder interpretieren Beschwerden häufiger als Nebenwirkungen, als sinnvoll wäre.

 

Gesucht: sinnvolle Aufklärung, aber keine Panikmache

Natürlich ist es das gute Recht jedes Patienten, darüber aufgeklärt zu sein, was ein Medikament leistet, wie es wirkt und welche Nebenwirkungen daher auftreten können. Leider sind jedoch Beipackzettel der in Deutschland verkauften Arzneimittel eher Horrorszenarien als wirklich objektive Beschreibungen des Medikaments. Und darum schaden sie mehr, als sie nutzen.

Ein anderer nicht unwichtiger Aspekt, den ich sowieso jedem Menschen ans Herz lege: Unser Leben ist voller Risiken, alles, was wir jeden Tag tun, kann unsere Gesundheit beeinträchtigen. Und doch gibt es für diese alltäglichen Dinge eben keine Beipackzettel, die uns auf die Risiken der Anwendung aufmerksam machen.

 

Beipackzettel des Lebens

Oder haben Sie schon einmal einen Beipackzettel für Schokolade gesehen? Was würde da denn drinstehen:

"Der Genuss von Schokolade kann zur Schokoladensucht führen. Darüber hinaus können Veränderungen des Stoffwechsels auftreten, bis hin zu erhöhten Zucker- oder Cholesterinwerten. Im Zusammenspiel mit dadurch auftretendem Übergewicht kann es zu Diabetes, Bluthochdruck und in der Folge zu Herzinfarkt und Schlaganfall mit tödlichem Ausgang führen."

Essen Sie jetzt noch Schokolade? Fliegen Sie noch in den Urlaub, obwohl Flugzeuge abstürzen können, und wechseln Sie noch die Straßenseite, obwohl sie theoretisch von einem Auto überfahren werden könnten? Benutzen Sie noch öffentliche Verkehrsmittel, obwohl diese die wohl häufigste und wichtigste Ansteckungsquelle für Infektionskrankheiten ist?

Wenn Sie diese Fragen uneingeschränkt mit „Ja“ beantworten können, gratuliere ich Ihnen. Denn trotz aller Widrigkeiten des Lebens mit garantiert tödlichem Ausgang lassen sie sich die Lebensfreude nicht nehmen. Und das ist gut so, dann so leben sie länger und intensiver!

Vielleicht sogar mit der Hilfe von Medikamenten!