Wann sind Laborwerte normal?

Diese Frage ist, wenn man möglichst exakt sein will, gar nicht so einfach zu beantworten. Denn dazu muss definiert sein, was denn als „normal“ zu bezeichnen ist. Das ist gar nicht so einfach, denn jeder Mensch versteht unter „normal“ vermutlich etwas anderes.

Normal ist, was wir als das übliche kennen gelernt haben. Aber muss denn das, was für uns üblich ist, für andere genauso sein? Sicher nicht, und darum macht es Sinn, sich einmal klar zu machen, was denn in der Medizin als „normal“ bezeichnet wird.

Wenn wir uns hier der Einfachheit halber auf Laborwerte beschränken, muss man sich als erstes die Frage stellen, wie man denn überhaupt weiß, welcher Laborwert denn als „normal“ anzusehen ist. Und hier muss man schlicht und einfach sagen, dass wir bzw. die Wissenschaftler diese Frage gar nicht beantworten können. Mit welchem Recht will man denn z. B. sagen, dass 5000 Leukozyten (weiße Blutkörperchen) normal, aber 15000 Leukozyten nicht mehr normal sind?

 

Mathematische Hilfsmittel

Nun, das geht schlicht und einfach nicht, weil man es nicht beweisen kann. Aber Mediziner haben sich immer schon gerne der Hilfsmittel der Mathematik bedient, hier insbesondere der Statistik. Und damit kommt man schon einen Schritt weiter: Man nimmt einfach eine genügend große Menge an (scheinbar) gesunden Menschen, bestimmt bei ihnen die Anzahl der Leukozyten und vergleicht diese. Dabei wird man schnell feststellen, dass nicht bei allen Menschen die gleichen Ergebnisse herauskommen, aber immerhin kann man aus diesen Werten einen Mittelwert bilden, den man dann einfach als den „normalen“ Wert für die Leukozyten ansetzt.

Jetzt werden aber die wenigsten Menschen bei ihren Leukozyten genau diesen Wert haben. Sind die dann alle „unnormal“? Und weiter wäre zu fragen, was die Abweichung für diese Menschen bedeutet, und ob die alle krank sind.

Und man weiß ja auch, dass viele Werte, darunter eben auch die Anzahl der Leukozyten, starken Schwankungen ausgesetzt sind. So kann ich z. B. morgens 4570 Leukozyten haben, ab Abend sind es dann 7230. Bin ich dann morgens gesund und abends krank?

Sie merken, dass dies gar nicht so einfach ist, und nur die wenigsten Menschen werden Laborwerte genau in der Mitte haben. Darum macht es Sinn, statt eines festen Wertes einen Werte-Bereich festzulegen.

 

Referenzbereich

Genau das hat man in der Medizin für alle Laborwerte gemacht, und dieser Bereich wird als Referenzbereich bezeichnet. Und damit gibt es keine „normalen“ oder „unnormalen“ Laborwerte mehr, sondern nur noch Laborwerte innerhalb oder außerhalb des Referenzbereichs. Der Referenzbereich für Leukozyten liegt übrigens zwischen 4000 und 10000 Leukozyten, dabei bezieht sich die Zahl auf einen Mikroliter (µl) Blut.

Zum Referenzbereich ist noch zu erwähnen, dass dieser noch von Labor zu Labor leicht variieren kann, was daran liegt, dass es unterschiedliche Methoden zur Bestimmung gibt und selbst bei gleicher Bestimmungsmethode Laborgeräte unterschiedlicher Firmen leicht unterschiedliche Ergebnisse liefern können. Darum ist es auch nicht immer einfach, Ergebnisse unterschiedlicher Labore zu vergleichen.

Ausgehend von der Erkenntnis, dass gewisse Schwankungen der Laborwerte durchaus normal sein können, ist es also sinnvoll, den Referenzbereich so zu wählen, dass diese Schwankungen möglichst innerhalb des Bereiches liegen. Weiter führt auch die Erkenntnis, dass veränderte Laborwerte nicht automatisch Krankheit bedeuten, in die Definition des Bereichs mit ein. Als praktikabel hat sich herausgestellt, dass der Referenzbereich so zu wählen ist, dass 95% aller beschwerdefreien Menschen mit ihren Werten innerhalb des Bereichs liegen sollen. Damit kann man mit Hilfe statistischer Methoden den Referenzbereich eines Laborwertes genau bestimmen. Für die Leukozyten bedeutet dies also, dass 95% aller Menschen Leukozytenwerte innerhalb des Bereichs haben, 2,5% liegen unterhalb, ebenfalls 2,5% oberhalb des Bereichs.

 

Ist man krank?

Bleibt noch die Frage, ob denn nun alle Menschen außerhalb des Bereichs krank sind. Diese Frage kann und muss man aber mit einem deutlichen „Nein“ beantworten. Mitnichten! Laborwerte außerhalb des Referenzbereich liefern keine sichere Aussage darüber, dass man krank ist, genauso wenig, wie Laborwerte innerhalb des Referenzbereichs eine sichere Aussage darüber erlauben, dass man gesund ist.

Ich weiß aus meiner ärztlichen Erfahrung, dass sich viele Menschen auf die Leberwerte verlassen, weil sie der Meinung sind, dass man am Blut alle Krankheiten sicher erkennen kann. Das ist aber ein weit verbreiteter Irrtum. Nicht einmal 50% aller Erkrankungen verändern die Laborwerte, so dass ein „normales Blutbild“ keine Garantie dafür ist, dass man gesund ist. Insbesondere muss ganz klar betont werden, dass man Krebserkrankungen fast überhaupt nicht am Blut erkennen kann! Die in der Praxis häufigsten Erkrankungen, wie Erkältung, Magen-Darm-Virus oder Rückenschmerzen beeinflussen die gängigen Laborwerte übrigens ebenfalls nicht.

Letztlich hat jeder Mensch seine individuellen Normalwerte, und die können sogar außerhalb des Referenzbereichs liegen. Es gibt also z. B. Menschen, deren Leukozytenzahlen stets unter 3000 liegen, die aber trotzdem nicht krank sind. Jeder Mensch ist eben aufgrund seiner genetischen Struktur anders, und was für den einen normal ist, ist es für den anderen eben nicht. Und Referenzbereiche bilden halt nur die statistische Mitte ab, die aber keineswegs für alle gelten muss.

 

Laborwerte sind Hinweise

Vergleichen Sie die Abklärung einer Krankheit mit einem Mordprozess. Mal gibt es klare Beweise, mal gibt es nur Indizien. Und Laborwerte sind eben ein Baustein, ein Indiz in der Abklärung, aber eben nicht der einzige. Sie liefern fast immer nur Hinweise für (oder gegen) eine Erkrankung, aber eben keine Beweise.

Und so empfehle ich Ihnen, gelassen zu bleiben, wenn mal ein Laborwert außerhalb des Referenzbereichs ist. Insbesondere dann, wenn sie keine Beschwerden haben, ist das dann wahrscheinlich ein Zufallsbefund ohne Krankheitswert. Und denken Sie immer daran. Gesundheit definiert sich nicht über Laborwerte, sondern über Beschwerden. Haben Sie keine, dürfte die Chance sehr groß sein, dass Sie gesund sind.